CITROËN - TRACTION AVANT

Französische Revolution

Die Krise

Paris im Jahre 1932. André Citroën steckte in Schwierigkeiten. Die Produktion seiner Fahrzeuge fiel von 71.932 Fahrzeugen im Jahre 1931 auf nur noch 48.027 im Jahre 1932. Die Zahl der Arbeitslosen hatte sich innerhalb eines Jahres in Frankreich auf 278.000 versiebenfacht! Citroën hatte Unsummen in die Erweiterung seines Werkes am Quai de Javel ausgegeben. Für die umfangreichen Arbeiten wären drei Jahre erforderlich gewesen, aber er hatte es, dank perfekter Planung, in nur fünf Monaten errichten lassen. Und dennoch, die Absatzzahlen fielen in den Keller. Die Lagerbestände wuchsen. Die weltweite Wirtschaftskrise forderte ihren Tribut.

Ein neues Automobil bauen! Eines, das über genügend Qualitäten verfügte, dass man es viele Jahre bauen konnte, - die Werkzeuge für den neu eingeführten "Ganzstahlprozess" waren zu teuer, als dass man sie mit kurzen Produktionszeiten hätte amortisieren können. Eine neuerliche Senkung der Produktionskosten würde nicht reichen, um das Werk aus der finanziellen Krise zu holen.

Citroën war davon überzeugt, dass er einen noch größeren Kundenkreis brauchte. Man müsste ein Automobil mit so grossem technischen Vorsprung entwickeln, dass man die Konkurrenz in die Knie zwingen könnte. Die Lösung hieß: das Auto von Morgen, eine Revolution musste her!

Die Entscheidung

Aber was für ein Fahrzeug hatte die größten Chancen, was brauchten die Käufer? Einen kleinen, sparsamen Wagen mit Zweizylinder-Boxermotor, wie der Ingenieur Laisné ihm angeboten hatte? Oder doch einen Mittelklassewagen mit technischen Neuerungen, die es bisher noch nicht gegeben hatte?
Citroën glaubte nicht daran, dass die Krise ewig dauern würde. Er hatte schon oft unter Beweis gestellt, dass er ein gutes Gespürl für die Strömungen der Zeit besaß. Mit seinen Modellen 10 HP und 5CV hatte er das Leben der Franzosen auf den Kopf gestellt, zeitweise hatte Citroën einen Marktanteil von knapp 50 Prozent. Mit der Einführung der Fliessbandproduktion und den einfach konstruierten, aber robusten Modellen, hatte er eine industrielle Revolution ausgelöst und die einfachen Leute  motorisiert. Mutig und vorausschauend, wie André Citroën nun einmal war, entschied er sich für den revolutionären Mittelklassewagen.

Der Ingenieur

Aber welcher Ingenieur war in der Lage ein so richtungsweisendes Fahrzeug zu entwickeln? Jules Salomon, sein bisheriger Ingenieur, der ihm gute Dienste geleistet hatte, hatte die Firma verlassen. Das Schicksal schickte ihm André Levébvre vorbei, einen damals 40 jährigen, begabten jungen Mann. Levébvre, 1894 in Louvres geboren, hatte nach dem Gymnasium die Ecole supérieure d'aéronautique in Paris - Montmartre besucht. Die tägliche Begegnung mit den Malern und Schriftstellern des Künstlerviertels, wie Picasso, Forain und Poulbot hatten bei Levébvre ein großes Interesse für künstlerisches Schaffen hervorgerufen, das er zeitlebens behalten sollte.

Nach dem Diplom hatte er eine Anstellung bei Gabriel Voisin angetreten und in ihm einen Chef gefunden, den man zu Recht als Nonkonformisten bezeichnen konnte. Voisin baute zunächst Militärflugzeuge, wandte sich aber nach dem Ersten Weltkrieg dem Automobilbau zu. Aus dem Flugzeugbau hatte Voisin einige Leitgedanken und Zielsetzungen für den Automobilbau übernommen, an die damals noch kaum jemand dachte:

  • größtmögliche Gewichtsreduzierung
  • Karosserieentwürfe nach aerodynamischen  Gesichtspunkten,
  • niedriger Fahrzeugschwerpunkt
  • und den Grundsatz, dass die "Räder nie den Boden verlassen dürfen".

André Levébvre war voller Schaffensdrang und liebte es, wie Voisin, die eingetretenen Pfade zu verlassen. "Geht nicht - gibt's nicht!", würde man heute sagen.


Voisin und Levébvre hatten auch zeitweise großen Erfolg mit ihren Fahrzeugen, die aufgrund der guten Gewichtsverteilung eine exzellente Strassenlage hatten. Levébvre fuhr sogar Rennen. So gewann er 1924 mit einem Voisin den Grand Prix de Tours und stellte 1929 auf der Rennstrecke von Monthléry mit einer 48 Stunden-Durchschnittsgeschwindigkeit von 220 km/h einen neuen Weltrekord auf.
Nachdem Voisin in die Krise geraten war, versuchte Levébvre es als Ingenieur bei Louis Renault, doch die beiden verstanden sich nicht. Der fortschrittliche, vorwärtsstürmende Ingenieur konnte seine Ideen bei seinen biederen Vorgesetzten kaum durchsetzen. Nach fast zwei Jahren soll Renault zu seinem Verwaltungsdirektor gesagt haben: "Schaffen Sie mir diesen Kerl vom Hals, ich kann ihn nicht mehr ertragen!"

Voisin, der sich immer noch um seinen Schützling kümmerte, schickte Levébvre zu Citroën - und das war gut so. Hier hatte er endlich wieder den Spielraum, den er brauchte. Citroën ließ ihm nicht nur freie Hand, er sorgte auch dafür, dass er niemandem Rechenschaft ablegen musste.

André Citroën hatte durch Pierre Prévost, den Leiter seiner Versuchsabteilung, von dem "Tracta" genannten Automobil des Ingenieurs Grégoire gehört. Dieser Wagen besaß Frontantrieb und war als einziges französisches Fahrzeug unter den Siegern der 24 Stunden von Le Mans gewesen. Prévost, der mit Grégoire befreundet war, hatte den Tracta strengen Prüfungen unterzogen und war begeistert. Citroën witterte Morgenluft, - Frontantrieb, war das die Lösung? Ende März 1933 fällte er die Entscheidung. Ein "Traction Avant" sollte es sein. Aber vorstellen müsste man ihn auf dem Automobilsalon im nächsten Jahr. Dann blieben nur 18 Monate Zeit, statt der üblichen 60 für die Neukonstruktion eines Autos! Citroën wagte das schier Unmögliche, Levébvre war begeistert. Ab jetzt würde rund um die Uhr malocht.

Das Team

Monsieur Citroën hatte das Pflichtenheft für das bis dahin "petite voiture - kleiner Wagen" oder schlicht nur "7" genannte Automobil wie folgt formuliert:

  • Automatikgetriebe
  • Frontantrieb
  • flache, stromlinieförmige Karosserie
  • vier Türen
  • vier Sitze
  • Ganzstahlkarosserie
  • 800 kg Leergewicht
  • Vierzylindermotor
  • 100 km/h Höchstgeschwindigkeit
  • 7 Liter Verbrauch auf 100 km/h

André Levébvre stellte sein Team zusammen:


Maurice Julien und Paul d'Aubarède arbeiteten hauptsächlich an der Federung und entwickelten die elastische Motoraufhängung, das "Pausodyne-System".

Maurice Sainturat entwarf den völlig neuen Vierzylindermotor mit hohem Wirkungsgrad, hängenden Ventilen und nassen, auswechselbaren Zylinderlaufbüchsen.

Als Karosseriedesigner wurde der italienische Bildhauer Flaminio Bertoni beauftragt, der in nur einer Nacht die Form des Tractions mit Plastilin kreierte. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass ein Automobil als Modell entworfen wurde und nicht auf Papier.

Und natürlich viele andere mehr.


Bertoni stellte das Modell auch André Citroëns Frau Giorgina vor, denn Citroën war die Meinung seiner Frau, vor allem in Sachen der Ästhetik besonders wichtig. Madame Citroën war begeistert und so wurden nach den Zeichnungen bei Budd in Amerika die Werkzeuge für den Karosseriebau bestellt.

Aber die Gelenkwellen des Frontantriebs machten enorme Schwierigkeiten. Zunächst hielten sie nicht, dann knackten sie in der Kurve fürchterlich. Ganz zu schweigen vom geforderten Automatikgetriebe: das Öl des hydraulischen Wandlers fing am Berg an zu kochen. Das Problem war nicht zu lösen. Citroën war dickköpfig, er bestand auf dem automatischen Getriebe. Erst als Citroëns Ingenieur Charles Brulles einen Bericht schrieb, indem er schonungslos die unlösbaren Probleme offenlegte und sogar seinen Hinauswurf riskierte, rückte der Chef von der Automatik ab. Dann hieß es, in Windeseile ein Schaltgetriebe zu entwickeln und zu bauen. Man schaffte es in nur zwei Wochen!

Die Mitarbeiter der Konstruktionsabteilung waren allesamt am Ende ihrer Kräfte. Levébvre gönnte sich keine Ruhe mehr, es wurde rund um die Uhr, auch an den Wochenenden gearbeitet. Als die überlasteten Mitarbeiter einen freien Sonntag erbaten, reagierte Citroën unnachgiebig.

Die Revolution

Am 24. März 1934 gab es eine interne Vorstellung vor vierzig ausgesuchten Vertragshändlern. Der neue Wagen und seine konstruktiven Merkmale lösten Stürme der Begeisterung aus.

Knapp einen Monat später, am 18. April wurde der "7" der Presse vorgeführt, die in allen Blättern Lobeshymnen auf ihn sangen. Radio Luxemburg sendete ein neues Samstagsprogramm unter dem Titel: "Die Viertelstunde von Citroën". Währenddessen liefen noch weitere Probefahrten des Wagens in Süd-Tunesien.

Der Automobilsalon am 3. Oktober 1934 war ein Triumpf für Monsieur Citroën und seine Konstrukteure. Ausgestellt waren neben dem "7" der 11 CV und angeblich auch einige 22 CV mit Achtzylindermotor als Limousine und als Cabrio mit Hardtop. Um diesen 22 CV ranken sich die Legenden, es ist kein existierendes Fahrzeug bekannt, angeblich sollen die Prototypen irgendwann verschrottet worden sein, aber von wem und warum?

Hier einige der technischen Novitäten des "Traction Avant":

  • selbstragende Ganzstahlkarosserie
  • Wegfall der Trittbretter
  • stromlinieförmige Karrosserie mit Unterbodenverkleidungen
  • Frontantrieb über homokinetische Gelenke (Kardan)
  • Einzelradaufhängung mit Drehstabfedern
  • gummifedergelagerte Vorderachse
  • hydraulische Stoßdämpfer
  • Hydraulikbremsen von Lockheed
  • 4 Zylindermotor mit hängenden Ventilen, über Kipphebel betätigt
  • auswechselbare Zylinderlaufbüchsen
  • vibrationsgedämpfte Motoraufhängung
  • Synchrongetriebe mit Gangverriegelung
  • Innenraumbeleuchtung mit Schalter unter dem Lenkrad
  • Sitzbezüge aus Jersey, einem Muster von Coco Chanel angelehnt

Übrigens wird über Citroën häufig kolportiert, als erster Hersteller der Welt ein Automobil ohne Trittbretter mit dem "Traction Avant" geschaffen zu haben. Das scheint so nicht haltbar zu sein. Schon die DKW Modelle "Front FA 600" von 1931 und die "Meisterklasse 601/701" von 1932 hatten unseres Wissens nach keine Trittbretter mehr.

Auf jeden Fall aber löste der "Traction Avant" eine automobile Revolution aus. Bisher hatte es noch keinen Wagen gegeben, der so viele Innovationen in sich vereinte. Es war das Auto von Morgen.
Citroën muss überglücklich gewesen sein, die Kunden, die Presse und die Vertriebspartner waren überschwenglich begeistert. Ihm und seinen Mitarbeitern war unumstritten ein ganz grosser Wurf gelungen. Nun kam es darauf an, das Fahrzeug zu verkaufen und die Kinderkrankheiten abzustellen und vielleicht auch endlich mal wieder auszuschlafen. Aber das ist eine andere Geschichte.

© Bilder und Text: Classic-Car-Revue / Heiko Feld
(ausser Bild im Header, zeitgenössische Werbung)

Kommentare: 0